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Nach 1991: Neue Polizei? Neue Kriminalität!

Nach 1991 steigt die Zahl der Straftaten allein in Dresden von rund 22.000 auf über 66.000 (1995) – in Sachsen von rund 133.000 auf knapp 355.000 (1993). Hooligans, Neonazis, Verkehrssünder, Wirtschaftsdelikte, die organisierte Kriminalität … Die sächsische Polizei steht vor Herausforderungen in völlig neuer Qualität. Dank Milliarden-Investitionen u. a. in Ausbildung und Ausrüstung holen die Ordnungshüter bis Mitte der 1990er Jahre im Wettlauf mit den Straftätern auf.

Erschreckend ist die zügellose Brutalität der ostdeutschen Hooligan-Szene. Ihr stellt sich die nach Wegfall der Bereitschaftseinheiten aus Wehrdienstleistenden eklatant unterbesetzte Polizei mit allen Kräften, darunter selbst ältere Kripobeamte. Die Gewalt der Fußball-»Fan«-Szene eskaliert, bis es Tote gibt: 1990 stirbt der Berliner Mike Polley in Leipzig durch einen Polizeischuss.

Auch der zunehmende Rechtsradikalismus tötet. In Dresden ist der 28-jährige Jorge Gomondai das erste Todesopfer eines rechtsextremen Überfalls nach der Wiedervereinigung.

»14 Tage vor meinem Kommen wurde Jorge Gomondai aus der Straßenbahn geprügelt, dass er zu Tode kam. Vor mir breitete sich ein rechtsorientiertes Gewaltphänomen aus: ›Das kann ja wohl nicht sein!‹, sagte ich mir. Es galt, konsequente Strafverfolgung aufzuziehen, damit die Täter nicht ermuntert wurden. Hier mussten Spezialisten ran, die wussten, wie man mit diesem Klientel umgeht.«

Peter Raisch, Präsident des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen und einer der geistigen Väter der Soko REX

zitiert nach: Otto Diederichs: Sonderkommission Rechtsextremismus: »Soko Rex« – Polizeiliche Bekämpfung des Rechtsextremismus in Sachsen, Artikel, CILIP 044, 22. Februar 1993

Eine Gruppe von Menschen hat sich im September 1991 auf einem Parkplatz vor einem Wohnheim versammelt, in dem Vertragsarbeiter leben. Bei einem Teil von ihnen handelt es sich erkennbar um Rechtsextreme, die aggressiv gestikulierend grölen.
Nach tagelangen Angriffen von Rechtsextremen auf Asylbewerberunterkünfte in Hoyerswerda im September 1991 mussten deren Bewohner aus der Stadt evakuiert werden, da sich die Polizei außerstande sah, für ihre Sicherheit zu garantieren.  © Gerd Fügert

Rassismus greift unter verunsicherten Ostdeutschen um sich. Hoyerswerda wird nach Angriffen auf Ausländerwohnheime zum Synonym für Fremdenhass.

Dem setzt das Landeskriminalamt Sachsen ab Juli 1991 die Soko REX (Sonderkommission Rechtsextremismus) entgegen. Bereits 1992 führt der hohe Verfolgungsdruck zu 92 % aufgeklärter rechtsextremer Straftaten. Komplex gestaltet sich ebenso die zielgruppenorientierte Prävention, wobei Konzeptionen auch auf Polizeikräfte zielen, die Gefahr laufen, negative individuelle Erfahrungen mit Ausländern zu pauschalisieren.

Nazis und Gewalt – Keine Chance! Sicherheit mit unserer Polizei!

»Der Slogan ist Ergebnis vieler Gespräche mit Jugendlichen und Heranwachsenden, insbesondere aus dem Freistaat Sachsen. Er soll Ausgangspunkt sein bei Diskussionen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche der Jugend. Wir, die Polizei des Freistaates Sachsen, sind eine Polizei des Bürgers und damit der Jugend.«

Sprechzettel für Landespolizeipräsident Maier, 4. Dezember 1991

Im Rahmen der Präventionskampagne »Wir Sachsen sind Spitze ohne Joint und Spritze« wurden auch T-Shirts, Basecaps und Bauchtaschen mit dem Slogan bedruckt. Diese Kleidungsstücke sind vor einem grünen Hintergrund zu sehen.
Drogenkriminalität war in der DDR ein nahezu unbekanntes Phänomen. 1992 startete das Landeskriminalamt eine Präventionskampagne mit Veranstaltungen in Schulen und Jugendeinrichtungen. »Wir Sachsen sind SPITZE ohne Joint und Spritze!« war ein Slogan des Landeskriminalamtes, u. a. auf Antidrogendiscos.  © Polizei Sachsen

Dem Menschen- und Drogenhandel der organisierten Kriminalität stellt sich die Polizei Sachsen u. a. mit Gründung der Ermittlungsgruppe »Rauschgift« zwischen Zoll und sächsischer Polizei (1993) oder der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe „Schleusungskriminalität“ zwischen Bundespolizei und sächsischer Polizei (1997). Vor allem die eskalierende Waffengewalt ist bislang unbekannt. Sie erfordert neue Strategien und Ausstattung.

Ein besonderes Phänomen ist der »Nachwende-Verkehrsrowdy«. 2020 gibt es im Bereich der Polizeidirektion Dresden 38 Verkehrstote, 1990 sind es im Regierungsbezirk Dresden 233 – geschuldet der ungewohnten Verkehrsdichte, aber auch dem »nicht genügend ausgeprägten Miteinander im Straßenverkehr«.

 

Dienstuniformen der sächsischen Polizei aus den 1990er Jahren

 

Zusätzliche historische Materialien

Ende des Jahres 1995 wurden in Leipzig-Connewitz mehrfach Polizeiangehörige und -fahrzeuge mit Steinen und Brandsätzen attackiert. Daneben ermittelte die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Reihe von Straftaten im Bereich des Stadtviertels. Am 29. Februar 1996 vollstreckten 350 Beamtinnen und Beamte die Durchsuchungsanordnungen des Amtsgerichts Leipzig und verschafften sich Zutritt zu besetzten Häusern. Dabei konnten Schusswaffen, Diebesgut im Wert von 60.000 D-Mark sowie große Mengen auf den Hausdächern gelagerte Pflastersteine und Brandflaschen sichergestellt werden.

»Zunehmend gibt es Erscheinungen willkürlicher Rechtsverletzungen, bewußter Mißachtung der Gesetze, entwickelt sich Rowdytum und Extremismus. Sprunghaft angestiegen sind Gewaltandrohungen, die Fülle von Raub, Erpressung, Brandstiftung. Extremistische Gruppen, zum Teil vermummt, randalieren in Stadien, stören massiv Veranstaltungen, zerstören gesellschaftliche Einrichtungen und schlagen grundlos auf unschuldige Bürger ein. … Mit dem Anstieg der Kriminalität hält derzeit die Aufklärung von Straftaten nicht Schritt.«

Ministerrat der DDR (2. Mai 1990)

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